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Texte zu Kunst und Philosophie
ISSN 1437-3777

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Werner Brück: Kunsthochschulen in SaarLorLux und Wallonien. Beobachtungen zum "Thementag Bewegtbild / Medienkunst" bzw. die "Journée Thématique Art Video et Nouveaux Médias" am 12.07.2006. Am 12.07.2006 fand in der Hochschule der Bildenden Künste Saar in Saarbrücken sowie im Saarbrücker Kino achteinhalb der “Thementag Bewegtbild / Medienkunst" bzw. die “Journée Thématique Art Video et Nouveaux Médias“ statt. Eingeladen waren Lehrbeauftragte und Studierende der Académie Royale des Beaux Arts de Liège (Lüttich), der Ecole des Beaux Arts de Metz, der Ecole Nationale Supérieure d'Art de Nancy (ENSA), der Ecole Municipale des Beaux Arts d’Epinal sowie der Hochschule der Bildenden Künste Saar in Saarbrücken, weiterhin Vertreter des Goethe-Institutes Nancy und Film- und Kunstinteressierte der Großregion. Ausgerichtet und organisiert wurde der Thementag vom Saarländischen Filmbüro, der HBK Saar und dem Saarländischen Rundfunk SR2. Bevor wir zu den Beobachtungen zum Thementag "Bewegtbild / Medienkunst" schreiten, möchte ich das Programm darstellen, um der geneigten Leserin zu einem Überblick zu verhelfen. Die zeitliche Auflistung folgt dem Programm des Filmbüro Saar.

Das Anliegen: "Im Rahmen dieses Thementages soll dargestellt werden, in welcher Weise an den Kunsthochschulen der Grossregion das bewegte Bild innerhalb von Experimentalfilm/Video und Neuen Digitalen Medien in Forschung und Lehre behandelt wird. Die verschiedenen Arbeitsansätze und Spezifika in der Ausbildung sollen vorgestellt werden. Dabei kann auch die Frage gestellt werden, ob der Standort "in der Provinz", abseits der Kunstmetropolen, von Bedeutung ist oder ob der geographische Ort im "global village" keine Rolle mehr spielt" (Quelle: Filmbüro Saar). "Das dichte Programm des Tages bietet den Besuchern einen Querschnitt von unterschiedlichen formalen wie auch inhaltlichen Arbeitsbeispielen, die an den verschiedenen Hochschulen entstanden sind und ermöglicht Studierenden und Lehrenden einen Einblick in Arbeitsweisen und Schwerpunkte an anderen Hochschulen. Neben der Präsentation sollen die einzelnen Beiträge der Lehrenden und Studierenden diskutiert werden ... Mit dieser Veranstaltung verfolgen die Initiatoren das Ziel einer verstärkten und konzentrierten Zusammenarbeit der kreativen Bildungsinstitutionen der Großregion. Der Thementag am 12. Juli 2006 ist der erste von 10 Thementagen, die das Saarländische Filmbüro mit unterschiedlichen Kooperationspartnern veranstaltet" (Quelle: HBK Saar).

Das Programm wurde eingehalten, was auf eine gute und stringente Organisation schließen ließ, die in den Händen von Fr. Sigrid Jost vom Saarländischen Filmbüro e.V. und Herrn Dr. Andreas Bayer von der Hochschule der Bildenden Künste Saar ruhte. Es erschienen einige Dozentinnen und Dozenten, die Material ihrer Studierenden vorstellten, aber auch Studierende selbst, diese jedoch nicht in allzu hoher Zahl. Die gerade einsetzenden Semesterferien im frankophonen Raum schienen sich bemerkbar zu machen. Simultandolmetscherinnen sorgten für die sprachliche Verständigung. SR2 KulturRadio besorgte die Aufzeichnung zum Zwecke der Wiedergabe im Radio. Für den Saarländischen Rundfunk erschien Barbara Renno. Das Goethe Institut Nancy war anwesend in Person von Peter Schott.

Das Programm im zeitlichen Ablauf:

Quelle: Filmbüro Saar

Um vorab auch die gezeigten filmischen Werke besser identifizieren zu können, sei auf das Programm des Kino achteinhalb verwiesen. Unter der Adresse zum Programm 1. THEMENTAG / JOURNEE THEMATIQUE BEWEGTBILD - MEDIENKUNST IN DER GROSSREGION finden sich die folgenden Werke mitsamt ihrer Autorinnen und Autoren, Stand: 10.7.2006.

Filme, die am Abend auf dem Spielplan standen:

Quelle: Programm 1.THEMENTAG / JOURNEE THEMATIQUE BEWEGTBILD - MEDIENKUNST IN DER GROSSREGION

Prof. Ivica Maksimovic (weiterer Link zu Projekten) von der HBK Saar betonte in seiner Begrüßung, daß diese Veranstaltung die erste ihrer Art für den Raum Saarland, Lothringen, Luxemburg und Wallonien sei. Es ginge darum, sich gegenseitig aktuelle Arbeiten zu zeigen, um das ästhetische Interesse der anderen zu verstehen. Man könne sich natürlich auch bloßzustellen, indem auch weniger qualitätvolle Ansätze bzw. "work in progress" vorgeführt würden. Fakt sei aber, daß die betreffenden Hochschulen zu wenig zusammenarbeiteten. Hier müßte mehr getan werden, vor allem auch seitens der HBK Saar. Das Nachgespräch, das am 13.07.06 zwischen den Organisatoren und den interessierten Partizipanten durchgeführt werden würde, sollte hier Klarheit bzw. Vorhaben schaffen.

In dieser Veranstaltung, das wurde deutlich, trafen aber auch die Interessen des Filmbüros, der HBK Saar und des SR aufeinander. "In den vergangenen beiden Semestern bestimmte das übergeordnete Thema "Licht und Schatten" als Schwerpunkt das Lehrangebot an der HBKsaar. Im Sommersemester 2006 wird es einen Akzent im Bereich des Mediums "Bewegtbild" geben. Ähnlich wie bei "Licht und Schatten" werden hier Studierende und Professoren fachbereichsübergreifend an einem Thema arbeiten, das unter dem Oberbegriff "Visuelle Poesie" gefasst werden soll ... Eine weitere Veranstaltung [der zur Debatte stehende Thementag; d.V.] steht im Kontext der Vorbereitungen für das Festival Kino im Fluss / Cinéfleuve 2007, das vom Saarländischen Filmbüro e.V. im Rahmen des Programms "Luxemburg und Großregion Kulturhauptstadt 2007" vorbereitet wird. Im Vorfeld des Festivals 2007 wird es an verschiedenen Orten der Großregion Thementage geben, die auf Schwerpunkte des Festivals hinführen. In der Aula der HBKsaar werden am 12. Juli im Rahmen eines Thementages mit Filmfestival-Charakter Vertreter von künstlerischen Hochschulen der Großregion, die im Bereich "Bewegtbild" arbeiten, Werkbeispiele ihres Schaffens zeigen. Studierende der HBKsaar bei Prof. Burkhard Detzler, Prof. Ivica Maksimovic, Prof. Tamas Waliczky und Studierende der Ecole de Beaux Arts in Metz bei Pierre Villemin präsentieren in der Aula der HBKsaar Arbeitsergebnisse aus unterschiedlichen Lehrveranstaltungen. Es besteht hierbei die Möglichkeit, die an der HBKsaar entstandenen Werkbeispiele wie auch die an den Nachbarhochschulen entstandenen visuellen Projekte kennen zu lernen und zu diskutieren" (Quelle: Vorlesungsverzeichnis der HBK Saar; zum Thema der "Visuellen Poesie" vgl. auch die Dissertation Schmidt, Henrike: Wortmusik, Schrifttanz, Textbilder. Intermediale Sprachkonzeptionen in der russischen Poesie des 20. Jahrunderts. Bochum, 2001; sodann: die Lizenziatsarbeit von Honegger, Urs: Wort und Bild in der visuellen Poesie des 20. Jahrhunderts. Zürich, 2002).

Stefan Zintel, Lehrbeauftragter an der HBK Saar, der die Filme der Studierenden im FB Design unter der Leitung von Prof. Burkhard Detzler vorführte, betonte den Wert der Interdisziplinarität, was sich im Umfang und den umfangreichen Dokumentationen seiner bisherigen Arbeit niederschlägt, z.B. im Projekt "sonambiente berlin". Zintel fordert die "[W-/; d.V.]wechselseitige Begegnung der Künste". Es blieb jedoch unklar, ob er nicht doch das Schlagwort der "Wechselseitigen Erhellung der Künste" meinte, die ja schon in den Zehner Jahren des 20. Jahrhunderts durch Oskar Walzel angerissen wurde (man vgl. an dieser Stelle Walzel, Oskar: Wechselseitige Erhellung der Künste. Ein Beitrag zur Würdigung kunstgeschichtlicher Begriffe. Vortrag vom 3.1.1917 in der Berliner Abteilung der Kantgesellschaft. Berlin, 1917; ferner: Walzel, Oskar: Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters. -in: Handbuch der Literaturwissenschaft, Berlin, 1923. S. 265-327; man beachte jedoch auch die Arbeit des Literaturhistorikers Fritz Strich und dessen Übertragungsversuch kunstbegrifflicher Dichotomien Wölfflins auf die Literarhistorie, vgl. Strich, Fritz: Die Übertragung des Barockbegriffs von der Bildenden Kunst auf die Dichtung. -in: Stamm, Rudolf (Hrg.): Die Kunstformen des Barockzeitalters. Bern, 1956. S. 243-265, sowie: Strich, Fritz: Deutsche Klassik und Romantik. Bern, 1922).

Oder meinte er einen abgeschwächten, einen der Epistemologie entledigten Modus eines interdisziplinären Kunstschaffens, der darauf zielt, geheimnisvolle, jedoch nicht versteh- und damit erkenntnistheoretisch nicht nutzbare Evidenzen anzusprechen oder gar zu erschaffen? Wale begegnen sich wie Fleischklopse im Gulasch, sie fiepen um sich, doch im trüben Dünkel ziehen sie letztlich doch aneinander vorbei. "Erhellung" hingegen fordert vom Erkennenden, das Erkannte zu formulieren und das Verfahren zu postulieren: auf eine solche gewagte Position sich zu begeben, fällt nicht leicht. So gesehen regten Stefan Zintels Ausführungen zum Nachdenken an, und es ist ihm hoch anzurechnen, daß er hier sorgfältig mit den Termini operiert.

"Musik in Farbe", ein Gemeinschaftswerk von Komponisten und Filmenden, brachte anfänglich nur Musik, dann einsetzende rhythmische Strukturierungen, dann optisch-akustische Analogiebildungen. Das Rauschen des Bildes entsprach dem akustischen Rauschen. Punktuell, ohne Echo oder Raumklang bzw. ohne weiteres musikalisches Beiwerk auftretende Töne wurden begleitet von bildlich-punktuellen Rhythmisierungen im zweidimensionalen Gefüge. Musik wurde da auch in narrativ-deskriptiver Analogie zu den Fingerbewegungen einer Hand, auf Klaviertasten, gebracht. Läßt man den projekthaften, studienartigen Charakter des Filmes außer Acht, betrachtet man den Film nicht als endgültiges Werk, gelangt man zu einer Auffassung verschiedener filmischer Repräsentationsarten, vom Ungegenständlichen über das Gegenständliche zur Narration als Resultat einer strukturellen, dh. auf die Gestaltungselemente und deren Verarbeitung zielende Bezugsetzung.

Für noch präsentationsreifere Ausarbeitungen war der Abend im Kino achteinhalb mit kommerziellem Publikumsverkehr vorgesehen. Ähnlich dem genannten Film beschäftigte sich auch Claudia Stange in "Nebensache" mit Bild und Ton, genauer: dem Leben an einer Bushaltestelle auf dem Uni-Campus in Saarbrücken. Hier kombinierte sie Füße auf Asphalt bzw. den dortigen Kiesbeton mit einer von harten Beats durchsetzten Musik. Das Warten der Hauptdarstellerin wurde dann aber mit einem archaisch-atavistisch anmutenden Männergesang unterlegt. Ebenso zeigte die Autorin da nicht mehr die vergleichsweise ausgreifenden, hektisch umhertippelnden und kleinteiligen Füße der Darsteller. Vielmehr sah man wartend eine Ganzfigur in schwarzer Kleidung, was eine kompakte, geschlossene Form, plausible Bezugslosigkeit, Bindungslosigkeit, Autonomie bildet.

Die Studierenden, die in der ersten Welle präsentiert wurde, setzten sich vor allem mit den bildlich-musikalischen Analogievorkommnissen des Mediums Film auseinander, weniger jedoch mit der gestalterischen Bedingung filmischer Bilder und Sequenzen durch musikalische Gestaltungsweisen und umgekehrt, als Teil interner Relationen. "Begegnung" statt "Erhellung", was m.E. aber schon einen guten Ansatz darstellt.

Was Tamas Waliczky angeht, der als Lehrbeauftragter der HBK Saar die Bereiche "bewegtes Bild bzw. computergenerierte Animation, internetgestützte künstlerische Praxis und multimediale Installation sowie interaktive Produktionen in mehrdimensionalen virtuellen Raumkonstruktionen" abdeckt: man konnte meinen, er wollte die Veranstaltung nutzen, Studierende der Region an die HBK Saar zu ziehen. Daß er vom Comic kommt, sah man den gezeigten Arbeiten seiner Gruppe an. Azra Duric arbeitet klassisch-zeichentrickhaft, v.a. mit grafischen Mitteln ("Der Geier"), aber auch dicken, pastosen Strichungen aus Primärfarben ("Eisenbahnreisende"), die in der Animation zusammenflirren. Man fand im Atelier Waliczky anekdotische Erzählansätze, poetisch-ichbezogene, gegenstandsabstrahierende Mittel ("Morgentau, überall") mit viel Design-, Selbst- und begeisterter Medienverliebtheit.

Besonders "Snail Race" packte jedoch trotz der langsam sich fortbewegenden Schnecken. Man betrachtete die sich bewegenden Fühler und die flächenausgreifenden Schneckenkörper und merkt plötzlich und nach mehreren retardierten Augenblicken, daß die anderen Schnecken schon ein nicht unwesentliches Stück Weges hinter sich gebracht haben. Man sieht hier einen mit filmischen Mitteln erbachten Beweis der Relativität aller Bewegung, aber auch der universellen Gültigkeit filmischer Beschleunigungs- und Verlangsamungstechniken zum Zwecke der Dramatisierung und Spannungssteigerung.

Im dritten Teil der Saarbrücker Vorführung wurden 8mm-Projekte unter der Federführung von Jürgen Schnetzer gezeigt, als "Rückkehr" zu einer Form von Authentizität im Umgang mit dem Material. M.E. war dies eine zeitgeistige Erscheinung. Gedanken an Retrochilling, Vinyling und Lounging drängten sich auf. Vielleicht liegt hierin der Grund für die filmische Darstellung eines Schallplattenspielers, vermischt mit Dubs aus Szenemusik. Schlierende Flüssigkeitsspuren durchzogen die Bildfläche. Jedoch: hier wird produzierende Berufsausübung fundiert, indem die Studierenden auch fertigere Projekte anstreben - die Grenzen zwischen Anspruch, Selbstzweck und Unterhaltung sind fließend. Schnetzer, der für's Fernsehen und die Industrie arbeitet, weiß, was er seinen Studierenden zumutet, wenn er anregt, mit Material zu experimentieren, das Material zu leben.

So ist z.B. mit Christoph Kull "All ones Life" eine Diplomarbeit mit erzählerischem Ansatz entstanden, in der sich ein Subjekt in der Beschleunigung des Alltagslebens am Beispiel einer U-Bahn zurechtfinden muß. Den Kontrast hierzu bildet die Naturerfahrung im jahreszeitlichen Werden und Vergehen. Sigrid Jost vom Filmbüro forderte eine verstärkte Distribution solcher Diplomarbeiten in der Großregion. Dies wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil der Film sich wohltuend von den kürzeren, lauteren, teils aggressiveren Clips des 8mm-Workshops und den anderen Arbeiten unterschied.

Der Einwurf der Cliphaftigkeit kam auch seitens des Vertreters der ENSA Nancy, Zoheir Mefti, der jedoch ebenfalls fragte, wie sich die noch vom klassischen analogen Film geprägte Ästhetik überwinden ließe. M.E. war dies eine zweckdienliche Frage. Die Vertreter des 8mm-Projektes konzentrierten sich in den gezeigten Arbeiten stark auf die Materialeigenschaften. Sie ließen die Ästhetik des Materials, wie das mediale Rauschen, die Auflösung, die Intensität der Farbe, das Format und die Proportionierung, die typische Objektivauswahl mit der ihr eigenen Tiefenschärfe, den Bildschritt sowie die Bildfrequenz und die Möglichkeiten der Anwendung in verschiedenen Situationen unberücksichtigt. Mit projiziertem analogen Filmmaterial lassen sich jedoch nicht nur ganz spezifische Farbtiefen, sondern auch Kontraste erzielen, die erst in einer Filmprojektorprojektion zum Tragen kommen. Immerhin aber kann "8mm" über die Person Schnetzers auch als ein Teil des Gesamtvorhabens "Visuelle Poesie-Filme, Animation, Bewegtbild, Musik" begriffen werden.

Schließlich schreibt Schnetzer in seinem virtuellen Aushang auf der Website der HBK Saar jedoch: "Erstellt wird ein Filmstück, bestehend ausschließlich aus Filmmaterial, somit wird nicht gedreht. Vielmehr geht der Kurs ein in Erscheinungsbild und Musik." - Das wurde anhand der chemisch-physikalischen Bearbeitung des 8mm-Filmmaterials deutlich, mit Hilfe derer die Studierenden die diesbezüglichen Eigenschaften des Films ausloteten. Man erlaube mir jedoch eine kleinere Gehässigkeit gegen die frenetischen Digitalwahnsinnigen, deren Qualitätsbegriff durch Simulation von Authentizität der jeweiligen künstlerischen Verfahren aufgeweicht wurde wie Roggenmischbrot in Knorr Jägersoße: vielleicht gibt es für Säureattentate auch schon einen digitalen Filter, wenn nicht, sollte einer erfunden werden. Andererseits: worin zeigen sich die medialen Unterschiede, wenn nicht in der Handhabung des Mediums, und was ist hinsichtlich des analogen Films charakteristischer als die chemische Behandlung, sei es auf Silberhalogenid-, sei es auf Farbkupplerbasis?

Dieser "typisch unbefangene", "charakteristisch uncharakteristische" Umgang mit dem Medium, die kanonisierte Respektlosigkeit zum Zwecke der künstlerischen, und zuerst intuitiven Aneignung medialer Kenntnissse, wurde von Prof. Maksimovic wieder angesprochen, als Liège präsentiert wurde. Diese Kunsthochschule zeigte die Ergebnisse sogenannter Kreativtrainings. Zusätzlich wurden die Zuschauer durch die Vertreter Lièges unter der Führung von Dominique Castronovo udn Guy Jungblut über die Studienorganisation an der Ecole supérieure des arts de la Ville de Liège informiert, die sich ergibt, sollte ein Kandidat die Finaloption "Vidéographie" gewählt haben.

- Eine Nebenbemerkung: es war an dieser Stelle nicht ganz einsichtig, ob nun die Académie Royale des Beaux-Arts oder die Ecole supérieure des arts de la Ville de Liège anweste. Beide befinden sich im gleichen Gebäude in der 21, rue des Anglais in Liège. Aufgrund der vorgestellten finalen Ausrichtungen des angebotenen künstlerischen Studiums stellte sich dann aber heraus, daß es sich um die Sektion der Ecole Supérieure des Arts de la Ville de Liège handelte. Überhaupt fehlte seitens der Organisation ein aushängendes Verzeichnis der anwesenden Namen und Filmtitel, das der geneigte Zuschauer, der sich die Mühe macht, dem Ganzen eine vollen Tag beizuwohnen, hätte mit nach Hause nehmen können. Oder Namenskärtchen. Eine Schiefertafel und Kreide, wie damals bei uns im Philosophischen Institut. Die einzelnen Kunsthochschulen hätten dem Lièger Beispiel folgend wenigstens in letzter Minute noch Material besorgen sollen, wo doch selbst in der freien Wirtschaft zu nichtigstem Anlaß wenigstens etwas Kopiertes aus der Hand der Bürofachkraft bereitliegt. -

"Vidéographie" ist jedenfalls nur eine der Optionen, die in Liège gewählt werden können. Malerei, Skulptur, Comic, Grafik, Bühnenbild und "Publicité" sind die anderen. "Vidéographie" wird als Zwischending verstanden. Viele einzelne Annäherungen finden in ihr Erfüllung, so z.B. der Experimentalfilm, der Kunstfilm, der Dokumentarfilm. Wichtig sei, daß neben den künstlerischen Techniken auch die medialen Fragestellungen und generellere Aspekte der Filmkunst betrachtet werden. Um dies zu bewältigen, konzentrieren sich die Kurse auf experimentelle Fragestellungen, dokumentarisches Vorgehen und Erzähltechniken. Dabei werden in allen drei Richtungen die theoretische Problemstellung, die Referenzen, die praktische und schließlich die technische Herangehensweise beleuchtet.

Der folgende Text beschreibt jene Definition des Trainings, ich greife zurück auf den Pressetext im hervorragenden, auch cinematografisch ausgerichteten Lièger Magazin "Des Images": "approches expérimentales thématiques / Recherches formelles à partir de notions liées au langage cinématographique : le plan, le cadre (cadrer / décadrer), les axes de prise de vue (frontalité, plongée / contre-plongée...), les mouvements (le travelling, le zoom, le panoramique), le champ-contrechamp, la profondeur de champ (le flou / le net / l’espace), le gros plan, la durée (accélérer / ralentir)...- à partir du corps et de ses gestes : les visages, les mains, les pieds, le dos... danser, manipuler, marcher / courir, lire...- à partir du paysage et des conditions de sa perception : l’horizon (la terre / le ciel / les nuages), la lumière (le soleil, les ombres, les reflets), la pluie, la brume (nuées), la nuit, le feu...- à partir de concepts abstraits : basculement / chute, blanc / noir, horizontalité / verticalité, clignotement, déchirure, éclaboussure... Il s’agira, pour l’étudiant - dans l’urgence et sans contrainte - de faire l’expérience de formes et de gestes nouveaux (ou redécouverts). Il s’agira d’exacerber ces formes et ces gestes afin d’en épuiser les sens" (Quelle: "Des Images"). Man bewegt sich also in der Konzentration auf Aspekte von Farbe und Form, also in der elementaren Gestaltung, sodann aber hin zu strukturellen Aspekten wie Komposition in Zeit und Raum, dann hin zum Körper und zu allgemeineren Punkten, die medial bedingt sind. Die Dauer eines Trainings soll die Zeit von 1-2 Wochen nicht überschreiten. Hier braucht es natürlich klare methodische Vorgaben. Workshops runden die Lernsituation ab, so z.B. zu den Themen "Erscheinungsweisen", "Theatralisierung des Alltags" oder aber zu künstlerischen Fragestellungen.

Im Gegensatz zu Saarbrücken, wo die Studierenden von ihren "Talentscouts" Kameras in die Hand bekommen, mit denen sie die Lust am Film, am Gerät und am den Möglichkeiten erst entdecken sollen, legt Liège also sehr viel Wert auf die rasche, zielgerichtete Entwicklung einer cinematografischen Sprache, die vorgegeben, geschult, geprüft und gesprochen werden muß. Die Saarbrücker beherrscht indes die Furcht vor Verlust an individueller Schöpfungskraft, sollten sich die Studierenden auf ikongraphische Vorbilder, andere KünstlerInnen, AutorInnen, Stile, Kunstrichtungen usf. berufen. Als ob ohne künstlerische Sprache individuelle Schöpfungskraft überhaupt ausgebildet, geschweige den vorhanden wäre ... Diese Idealvorstellung einer jungfräulichen "tabula rasa" wird in Liège nicht akzeptiert. Wie kann man auch die Liebe zu einer Sprache entwickeln, wenn man nicht über die Grundbegriffe und die Grammatik verfügt? Ganz auf ein kunstgrammatisches Grundgerüst zu verzichten, das bedeutet aber, überhaupt nicht hoch hinaus zu kommen, keinen Überblick und keine Individuation zu erfahren. Vielleicht resultiert aber auch aus diesem Fehlen der filmsprachlichen Erhabenheit die begegnungsanaloge, zeitgeistige, cliphafte, und damit sehr wohl die ikonographisch manipulierte Befangenheit der Saarbrücker Arbeiten.

Was wurde von Lièger Seite aus gezeigt? "Les signes de la ville" beschäftigte sich mit der Darstellung des Zeicheninventars der Stadt Liège. Dies war erfrischend, zumal im Pariser Jeu de Paume gerade eine hinsichtlich der Motivik recht muffige Aussstellung über die Entdeckung und Erarbeitung der fotografischen Stadtikonographie von Paris läuft. Die Lièger Arbeiten mußten nicht mit den millionen- ja milliardenfachen Vorinformationen auf Betrachterseite kämpfen. So mußte auch keinem spezifischen Wiedererkennungswert Lièges Rechnung getragen werden, wenn es den denn überhaupt geben sollte.

Denn Lüttich war im Film nicht unbedingt die Schönste. So konnte sich z.B. Joachim Del Puppo in seinem Film über Liège auf Deskription und Lyrik konzentrieren, wiederkehrende Rhythmisierungen in Sichtweisen pflegen, auch einzelne gefilmte Objekte iterieren. Ritualisierte Alltagswahrnehmungen wurden von Alltagsgeräuschen begleitet, die eingespielt wurden, um dem Gesehehen noch mehr Authentizität zu verschaffen, es in seiner Wirksamkeit zu bestärken. Zwischengeschaltete Phasen der außeralltäglichen "epagoge", der hingebungsvollen Versenkung in die Anschauung, auch in Farbe, begleitet von meditativer Musik, bildeten einen in ikonografischer Hinsicht zwar bekannten, doch aber auch interessanten Kontrast. Fenster- und Türpartien, Hauswände, Dächer mit Himmelsdurchblicken, im Winter, ergeben ebenfalls eine inventarhafte Bestandsaufnahme der Stadt, ohne jedoch irgendeinen Stadtcharakter zu formen, dazu ist die winterliche Jahreszeit in ihrer Erscheinungsweise zu stark. Nachts tritt das glitzernd-pulsierende Lichtermeer der Stadt hinzu. Schließlich aber stimmte eine Saxophonspieler versöhnlichere Töne an - hier erschienen auch andere Personen, die in die Kamera schauten. Und man merkte, was im Film über Liége im Winter die ganze Zeit ausgeklammert wurde, bewußt: die Darstellung der Menschen, die eine Stadt ausmachen.

Liège legt Wert auf den sozialen Aspekt der Filmkunst. Das zeigt sich auch in der dramaturgischen Ausarbeitung eines Themas. Im Film "Le chat noir", der sich auf Edgar Allen Poes Kurzgeschichte "The Black Cat" von 1843 bezieht, wird ein Handlungshöhepunkt, die Ermordung der Frau des Protagonisten, die eine schwarze Katze schützen will, in Handlungssequenzen zerlegt, die rhythmisch wiederholt werden und damit das Geschehen retardieren. Diese Verzögerung detailliert jedoch nicht zeitlupenhaft die Begleitumstände der Handlung, wie Lokal, Situation oder Ausstattung. Sie wiederholt vielmehr minimale Bewegungsintervalle wie das Zugreifen des Protagonisten oder die Schutzgeste seiner Frau. Durch solche Wiederholungen wird Handlung intensiviert und verdichtet, bis hin zum Handlungshöhepunkt. Die Katastophe, die sich dem Handlungshöhepunkt anschließt, und die nicht mehr abzuändern ist, schließlich ist der Protagonist betrunken, die Frau wehrlos, die Situation aggressionsgeladen, was kommt da sonst als der Tod? Die Katastrophe also wird - unter Beibehaltung der sequentiellen Wiederholungstechnik ausgelebt, ja: zelebriert. Ganz nach Aristoteles und seiner "Poetik" erkennt der Zuschauer, "was ein jedes sei" und worin die Ursachen jener Handlung liegen, wie wenig er unternehmen kann, um das Geschehen abzuwenden, und wie bedauernswert und schauerlich das Geschehen zustandekam. eleos und phobos, in einem Ausschnitt von wenigen Minuten. - Man kann dem Film "Le chat noir" durchaus ein Bewegung-Verzögerungsthema unterstellen, wobei Kontinuität erst aus dem Erkennen der Wiederholung resultiert, die immer wieder kleinere neue Handlungsabschnitte hinzufügt und sich damit langsam vorwärts bewegt.

In "filmstrip" sieht man eine Rolltreppe, eine Supermarktkasse, den Ablauf der Zeit. Linearität, Richtungsangaben, Beschleunigung (Rolltreppe, Fließband, Zeit) treffen auf Individualisierung (der einzelene Mensch und das Produkt an der Kasse). Beschleunigung fordert Klassifizierung. Aus dem Barcode, der primär das Einzelne beschreibt, wird ein Allgemeines, das es an der Kasse zu bezahlen gilt. Zurück bleibt der Mechanismus, der Bezahlvorgang. Alles geht in der organisierten Kanalisierung unserer Handlungen auf.

Auch in Metz wird weniger Wert auf die mediale Erscheinungsweise bewegter Bilder als auf die dem Film eigene Sprache gelegt. Erfrischend: Pierre Villemin, der Vertreter der Ecole des Beaux Arts de Metz, läßt nach einem kurzen Überblick über die Geschichte der Hochschule und der Aufteilung in die Bereiche "art" und "communication" auch Studierende selbst zu Wort kommen. Die Präsentation läuft in sich geschlossen und sinnhaft ab. So spricht den Zuschauer im ersten Film, einem Selbstportrait von Adèle Albrecht, die Protagonistin direkt aus einem 1970er-Jahre-Sessel vor weißem Hintergrund an bzw. sie führt ein Selbstgespräch, dem der Zuschauer frontal beiwohnt. Juli Garelli stellt ihre Diplomarbeit "Baptisma" vor. Ihr Film "Mademoiselle Julie" will hingegen eher im Kino achteinhalb gezeigt werden, weil die Projektionsbedingungen dort besser sind. Lise Walgenwitz unternimmt in "entre-deux" mit meditativer Musik und nicht-erzählerischen, sondern lyrisch-deskriptiven Strukturierungen und Wiederholungen die Installation eines Triptychons.

Eingehender zu besprechen ist m.E. auch der Film "méandres" von Anais Rossi y Costa. Hier wird Vaterschaft, Kindheit und Erinnern und Gedenken angesprochen. Eine junge Frau tastet sich in einem dunklen Wald, der augenscheinlich das Gedächtnis symbolisiert, so auch die päzise semiologische Wortwahl der Künstlerin im Vorfeld, Die Einstellung ist unscharf, begleitet von Farb- und Überstrahlungssäumen. Aus der Froschperspektive gesehen, die die Gegenstände des Erinnerns riesig, aber ungenau und verzerrt erscheinen läßt, tatstet sie an einen Baum. Es folgen weitere Überstrahlungen. Ein Weg führt in die Tiefe des wattig-unscharfen Bildraumes, bis eine ältere männliche Figur ins Bild tritt, die haptisch erkannt wird, und die dann die Hauptdarstellerin Hand in Hand auf ihrem Weg begleitet. Nachdem er ihr die Augenbinde abgenommen hat, sieht sie den Lauf der Dinge sowie ihre Umwelt und schreitet mit ihm weiter, sieht Kinder, betrachtet deren Spiel. Ein Gesamtkunstwerk, in dem Erzählung, Lyrik und Dramatik der Handlung ausgewogen und in Dichte zueinander stehen.

Vor allem aufgrund des Umstandes, daß die Studierenden von Metz für sich selbst sprachen, wurde die Programmatik des Metzer Ansatzes nicht so sehr ausgearbeitet und präsentiert. Ich möchte hier auch keine unsinnige Einteilung vornehmen. Aber: in Liège herrscht durch die Kreativtrainings ein stringenterer Rhythmus aus Aufgabenstellung, methodologischer Vorgabe und filmsprachlicher Realisierung mit vorgegebenen Mitteln. Nun ist ein Trainer aber immer auch einer, der das Letzte fordert, der anschreit und schleift, der jemandenen bewertet und sanktioniert. Belohnt und bestraft. In Saarbrücken hingegen wird sehr viel Wert auf die experimentelle und intellektuell unbefangene Umgangsweise mit den einzelnen künstlerischen Techniken gelegt. Man will die künstlerische Originalität nicht zertreten. Metz scheint zwischen den Polen zu liegen: die Individualität der Studierenden erscheint klar hervorgehoben, man läßt ihnen Freiheit in der Themen- und Technikwahl, fordert jedoch auch die Umsetzung ein. Dafür dürfen sie bei einem Thementag wied em gerade beschriebenen auch für sich selbst sprechen, wenn auch aus dem Plenum heraus. Die Saarbrücker "Talentscouts" schicken Studierende ans Rednerpult. Die können sich da natürlich auch blamieren - Prof. Maksimovic sagt dazu: "die Hosen herunterlassen". Eine Form der "blind variation", der "selection of the fittest". - Die Lièger lassen die Studierenden überhaupt nichts sagen. Waren die überhaupt da?

Metz legt Wert auf die ganzheitliche Aufgabenstellung und -bearbeitung. Das heißt, daß die Metzer Studierenden schon im propädeutischen ersten Studienjahr und dessen technischer Einführung verschiedene Instanzen der Filmwerdung kennenlernen. Dieser Umstand resultuert im Metzter Verständnis von KünstlerInnen, das durch die folgende Passage aus dem "Livret de l’étudiant" erhellt wird, das von der Ecole Supérieure de l'Art de Metz herausgegeben wurde: "L’option Art [im Nebeneinander zur Option "Communication"; d.V.] a restructuré ses enseignements depuis la mise en place du Projet Multimédia, en proposant des Ateliers de Recherche et de Création (ARC) posant clairement la question de la place et de la fonction de l’Artiste aujourd’hui ... et en l’imaginant demain (pertinence et spécificité des médiums employés, gestion des projets, économie de moyens, temps de production, circulation des oeuvres, accrochages spécifiques, installations, éditions prenant des formes multiples). Tous les projets développés s’articulent avec l’ensemble des Modules et Ateliers de l’école : Photographie, Vidéo, Gravure, Volume, Atelier 210, Son, Hypermédia, Scénographie, Édition. Ils sont étroitement liés au laboratoire VIE (Virtualité, Interfaces, Espace). Les professeurs de Sciences humaines travaillent en étroite collaboration avec les plasticiens et intervenants. Ils suivent le développement des projets des étudiants à la fois dans la phase programme (deuxième et troisième année) et dans la phase projet (quatrième et cinquième année) en s’associant à certains des ARC (Atelier de Recherche et de Création) proposés par l’option et en suivant les étudiants jusqu’aux diplômes. La confrontation et l’échange permettent une transversalité des connaissances, une réelle mise en perspective des recherches et l’engagement d’un travail critique sur chaque projet" (Vgl. Quelle: Ecole Supérieure de l'Art de Metz: Livret de l’étudiant. 2005/2005). So schreibt Silvia Buss in "a4. Images Dans L'Espace SaarLorLux+Alsace": "Das Metzer Multimedia-Projekt operiert mit drei Schlüsselbegriffen: Text, Bild, Ton. Und das bedeutet dann in der Praxis etwa, die Studenten müssen ein Drehbuch schreiben und dafür ein geeignetes visuelles Medium wählen. Das kann dann wahlweise ein Comic sein oder ein Fotoroman, entscheidend ist, was am besten dazu paßt." Angestrebt werde ein fachübergreifender Unterricht, so Olivier de Monpezat im Zitat durch Silvia Buss - dies als eine weitere Metzer Besonderheit. "Im vierten Studienjahr, nach dem Ablegen des DNAP (Diplome National d'Arts Plastiques), muß der Student in der Lage sein, autonom ein Projekt zu entwickeln und umzusetzen" (Buss, Silvia: Ecole des Beaux-Arts de Metz | Art et Communication. -in: a4. Images Dans L'Espace SaarLorLux+Alsace. Edition Spéciale. Mai 2001. S. 20-21). Zuguterletzt erwerben die Studierenden nach dem fünften Studienjahr das Diplome national Supérieur de l'Expression Plastique (DNSEP), ähnlich der und auf Wunsch auch in Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule von Epinal in den Vogesen.

Daß die Studierenden sich in Praktika befänden, sei der Grund für ihr Fehlen an jenem Tage, so die Epinaler Lehrbeauftragte Hélène Guillaume, die zu ihrem Engagement in Epinal auch eines an der Ecole des Beaux Arts de Metz (Link mit Studienprogramm) zählt. Epinal und Metz haben ihre Lehrpläne aufeinander abgestimmt. Nach dem DNAP als Abschluß der drei ersten Studienjahre haben die Epinaler Studierenden die Möglichkeit, an der Aufnahmeprüfung zum vierten und fünften Studienjahr an der Ecole Supérieure de l'Art de Metz teilzunehmen. Gleichermaßen können Metzer Studierende sich nach Epinal begeben, um an den dortigen Seminaren teilzunehmen und das DNSEP, das Diplome National Supérieure de l'Expression Plastique zu bekommen. Einen Überblick über die Studierenden an der É.S.A.É - École Supérieure d'Art d'Épinal kann man sich auf deren Website verschaffen. Hervorzuheben sind, trotz des exzessiven Gebrauches von Flash- und Shockwaveanimationen, Gabriel Harel, sowie weiterer Link, der mit dem Film "La vendangeuse" vertreten war, sodann Julien Bisaro, weiterer Verweis, der Ausschnitte aus der hervorragenden und in künstlerischer Hinsicht atemberaubenden Animation "Monsieur Quichotte" zeigte.

Animationstechniken mit Schwerpunktsetzung im Bereich der Erzählkunst, das macht die Epinaler Komponente filmischen Schaffens als Beitrag am Gesamtcurriculum aus. So bringt "La vendangeuse" in Erzählabläufe assemblierte Einzelbilder und erzählt vom Leben bei der Weinlese. Im obigen Sinne ließe sich auch dieses Vorgehen mit dem Film "Le chat noir" vergleichen. Durch Ton und Motivik werden jene Einzelbilder rhythmisiert. In Konkurrenz zu einer Erntemaschine ziehen die Erntehelfer natürlich irgendwann den Kürzeren; interessant ist aber nachzuverfolgen, mit welcher Ökonomie Gabriel Harel sein Ziel der Verdeutlichung der Beschleunigung erreicht: er beschleunigt einfach den Rhythmus der Abfolge an Einzelbildern. Auch muß der Betrachter keine Leerstellen zwischen den Bildern rekonstruieren, weil die zeitlichen Intervalle hinsichtlich ihrer Ausdehnung in nichts zu vergleichen sind mit den räumlichen Intervallen zwischen Einzelbildern eines pluriszenischen Bilderzyklus'. Begreift man als "Erzählung" die Sukzession zweier Ereignisse mit einem vermittelnden, sprachlich zu findenden Explikans, was in der Erzählforschung basierend auf dem Dantoschen Geschichtsmodell erfolgt, so sieht man anhand von "La vendangeuse", daß das Ereignis sich nicht als Motiv im Bild befinden muß, sondern auch die Sukzession der Einzelbilder durch die Hand des Autors sein kann. "Erzählung" bezieht sich hier auf die Ereignisse der künstlerisch-manipulativen Reihung. Eine spannende Selbstthematisierung des Mediums "Film".

In Julien Bisaros Werk "Monsieur Quichotte" hingegen befindet sich alles im Fluß, was auf den Stamm des Begriffes "Animation", nämlich das lateinische "anima", die Seele, als Voraussetzung eines Beseelungsprozesses, verweist. Bisaro würdigt an der Prozeß-/Produktäquivokation von Begriffen, die auf "-ion" enden, wie "Animation", vor allem dem Prozeß als Verlauf der Verwandlung, des Werden, Entstehens und des Vergehens. Genial z.B. die Werdung harter, kompakter Schattenformen, die irgendwann jedoch ausgreifen zu langen, stakkatohaften optischen Rhythmen in den Beinen des Pferdes Don Quichottes, von links nach rechts. Das in einer "überbelichteten", dadurch beinahe zweidimensional-bildflächenparallel wirkenden, sinnentäuschenden Hintergrundlandschaft. Wir befinden uns in der heißen, trockenen, spanischen Wüste. Und hier ist Können am Werk.

Sehr erfreulich ist, daß man sich Werke von David Schuman auch im Netz anschauen kann. Er zeigte den Film "1 temps 3 mouvements". Auf Vedrana Donic sei noch hingewiesen; sie stellt sich die Frage "Comment j'ai pu en arriver là?" Epinal ist bekannt für seine Beschäftigung mit Erzähltechniken, was der dortigen Kunsthochschule durchaus eine Platz sichert neben visuellen Experimenten oder subjektfigur- oder aber szenografiebezogenen Filmen aus anderen Ateliers. Der Ansatz, daß die Studierenden sich zeigen, ihre Semesterarbeiten im Netz ausstellen, mit Hilfe webbasierter Kommunikation ihr Wissen um Erzählung auch in die Praxis umsetzen und der Kritik des Betrachters / Zuschauers / Besuchers der Website stellen, dieser Ansatz ist toll und sollte unbedingt an den anderen Kunsthochschulen besprochen werden, zumal z.B. die Website von Metz nicht gerade informativ ausfällt, die Website von Nancy sogar unlesbar ist, benutzt man einen anderen Browser als den Microsoft Internet Explorer - eine Ausnahme ist der o.g. Studienführer von ENSA Metz. So ein umfangreiches Informationsangebot wünscht man sich also auch für Nancy. - Kommen wir also zu Nancy.

Es sei gleich gesagt, daß es hier nicht sehr viel zu besprechen gibt. Der Verteter Nancys, Zoheir Mefti, erschien alleine, schlug sich jedoch wacker und beschrieb eingehend die Lage. Die Studierenden befanden sich anscheinend schon in den Semesterferien. Niemand schien sich richtig zuständig zu fühlen. Die etwas improvisierte Vorführung machte auch nicht so klar deutlcih, um welche Werke es sich handelte. Allerdings setzt sich Nancy durch Autonomie von der Achse Metz-Epinal ab, was betont werden sollte. Vielleicht sehen wir in der Zukunft besser vorbereitetes Material.

Die Ecole Nationale Supérieure d'Art de Nancy (ENSA) richtet ihr Augenmerk vor allem in den beiden ersten Studienjahren auf eine breite Basis in den Fertigkeiten des Zeichnens und dem umfänglichen Kennenlernen möglichst vieler künstlerischer Techniken. Auch kunstbezogenes Allgemeinwissen wird vermittelt. Praktische Haltung als Künstlersubjekt im lebensweltlichen Umfeld, die poietische Fertigkeit im Umgang mit dem wichtigsten Instrument des Künstlers, der Zeichnung, sowie die theoretische betrachtung, Analyse und Urteilskraft geben einen fast aristotelischen Rahmen der Wissensvermittlung ab.

Erst ab dem dritten Studienjahr, an dessen Ende wie in Metz und Nancy das DNAP steht, entscheiden die Studierenden sich für eine der drei Optionen "Kunst", "Design" oder "Kommunikation". Das vierte und das fünfte Studienjahr dient dem künstlerischen Reifeprozeß, dem die Einrichtung mit ihren Ateliers bzw. Werkstätten zur Verfügung steht. Auch extern stattfindende Projektarbeit wird unterstützt. Hierzu zählen auch Auslandsaufenthalte und Kooperationen mit zahlreichen internationalen Partnern. Das fünfte Studienjahr schließt mit dem Erwerb des DNSEP ab, genau wie das Studium in Metz und Epinal. Weitere Berührungspunkte zwischen Metz und Epinal auf der einen Seite und Nancy auf der anderen wurden an jenem Thementag jedoch nicht deutlich. Vielleicht blickt die ENSA Nancy einfach auf eine andere, weitreichendere Geschichte, als deren Glanzpunkt sicherlich die berühmte Jugendstilerscheinung der "Ecole de Nancy" steht. - Aber: auch in Nancy wird die von deutschen Kunsthochschulen gepflegte Klassenbildung zwar nicht vollständig abgelehnt, so doch aber zurückgestellt zugunsten eines individualisierten Unterrichtes, der die selbständige Projektbildung und eine sehr stark an der persönlichen Fertigkeit der Studierenden orientierte Bewertung beinhaltet. Liège hingegen favorisiert das intersubjektive Vergleiche ermöglichende Training, in dem Gruppen Aufgaben gestellt werden.

Die individuelle Leistungsbewertung an der ENSA in Nancy bewegt sich aber im Rahmen der konzeptuellen Beherrschung von Material und Werkzeug, der analytischen Unterscheidungsfähigkeit der Studierenden, Stilkomparatistik, der Kunstkritik, was die Option "Kunst" anbelangt. In der Option "Design" kommt die Beurteilung des Projektentwurfes und der -steuerung hinzu; die Beherrschung von kunstwissenschaftlich-kunsthistorischer Analyse und der Kunstkritik tritt dafür etwas zurück. In der Option" Kommunikation" hingegen, die wohl besser mit "Gestaltung von Kommunikation" übersetzt würde, da die Franzosen sehr viel Wert auf die Prozeßkomponente des Wortes legen, spielen soziokulturelle, historische, anthropologische Aspekte eine Rolle in der Informationsvermittlung, die vom Layout über Produktion bis Publikation reicht, unter Einarbeitung in Webdesign, Multimedia, Druck, Typografie, Fotografie, Bildver- und -bearbeitung, Redaktion und Edition.

Aber wegen der stark technischen Prägung der neuen Medien, der Drucktechnik, der digitalen Fotografie und der Videokunst muß natürlich sehr viel Augenmerk auch auf die technische Souveränität der Studierenden gelegt werden. Das bedeutet, daß jene Komponente innerhalb der Option "Kommunikation" überwiegt, obwohl die künstlerische Bildung der beiden ersten Studienjahre und immer wieder beibehaltene Rekurse auf künstlerische Techniken, resp. Zeichnen, und Kunstwissenschaft bzw. -geschichte den Hintergrund für diese technische Annäherung bilden. Bewegte Bilder und Medienkunst als solche werden hier augenscheinlich jedoch nicht stark akzentuiert.

Als Beispiel für die Distanzierung und Positionierung der Studierenden angesichts der Umstände, daß Kunst eine Form der Kommunikationsgestaltung darstellt, und daß die Kunst sich der Gestaltung von Kommunikation bedient, sei die Aufgabe der "visions" genannt, von Christian Debize im Rahmen des Kurses "Histoire des arts. Image-Texte-Fiction" herausgearbeitet: "Le cours qui se déroule en partie à partir d'une sélection de tableaux du musée des Beaux-Arts de Nancy étudiées in situ, ne cherche pas à donner une forme à l'oeuvre d'art mais traduit une "vision", une mobilité du temps, l'appartenance de l'expression artistique à un réseau, à un système de relations complexes. Chaque séance aborde une problématique précise et pose en préalable la question du statut de l'image et de la situation de communication qu'elle suscite." (Quelle: Vorlesungsverzeichnis der ENSA Nancy, Option "Kommunikation", 3. Studienjahr; wegen der minderwertigen Usability der dortigen Website nicht referenzierbar - geneigte Leserinnen und Leser mögen sich bis zur "organisation pédagogique" durchklicken).

Diese soziokulturelle Fragestellung und Einordnung des Kunstwerkes wurde vom Vertreter Nancys demonstriert am Beispiel des Themas "A quoi tu penses?" aus einem aktuellen Workshop. Doch die Bezugnahme von Filmen auf das jeweilige Gemälde, z.B. "Le pauvre pecheur" von Puvis de Chavannes, verstand sich als Fortführung der gemalten Wirklichkeit durch das Medium Film, in Analogie oder aber im Kontrast. Die Filme "Soleil couchant à Etretat", "Le pauvre pecheur", "Le lancement du filet", "Le voluptueux" gingen nicht auf die Stimmung oder die Gestaltung der behandelten Gemälde ein, sondern eher auf Verwendungsweisen derselben.

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Texte zu Kunst und Philosophie
ISSN 1437-3777