recenseo
Texte zu Kunst und Philosophie
ISSN 1437-3777

Inhalt | Impressum

Ulrike Guggenberger: Moira Zoitl - "Chat(t)er Gardens". Saarbrücken, 2007

Hoedt, Ralf: Setfoto zu Moira Zoitl: base mix. 1998

Mit dem Wechsel des Studienortes, von der Universität Mozarteum Salzburg nach Wien an die Akademie für angewandte Kunst, entsteht bei Moira Zoitl, 1968 in Salzburg geboren, eine der ersten Videoarbeiten, "base mix", basierend auf einem Interview mit ihrer Mutter Gloria Zoitl, Künstlerin und Beratungslehrerin, die Moira Zoitl zu deren Leben befragt. Diese Texte vermischt sie mit gefundenen Gesprächsauszügen anderer Künstlerinnen, beispielsweise Valie Export und Carolee Schneemann. Zum ersten Mal zeigt Moira Zoitl dieses Video in Wien, in der Ausstellung "Nach 68 - Verlangen & Begehren". Diese ihre Video-Arbeit über Künstlerinnen bezieht sich auf eine Phase im Kunstbetrieb der 60er Jahre, allgemein eine Zeit politischer und sozialer Neuorientierung.

Es zeigt sich, dass Recherche, Biografie, Dokumentation und Fiktion in der Umsetzung als formale Bildidee, sowie als installative Arbeiten, ihrem eigentlichen Interesse am nächsten kommen. Ein Studienaufenthalt in Rom, wo Moira Zoitl am Stadtrand Studien zum Thema Stadtentwicklung betreibt, macht ihr bewusst, dass sie für ihre künstlerische Arbeit sozialpolitische Muster und Modelle untersuchen will um die verborgene Realitäten dieser Systeme aufzuspüren.

"Kunst hat immer eine politische Dimension. Ich arbeite aber nicht aktivistisch, sondern will einen politischen Denk-Prozess in Gang bringen. Um das zu erreichen kollaboriere ich z.B. mit sozialpolitischen Organisationen oder Aktivisten/innen und dokumentiere deren politische und kreative Strategien."

Dazu findet Moira Zoitl während eines Arbeitsaufenthaltes in Hongkong 2002 und 2004 Gelegenheit.

Im Zentrum der Millionenstadt treffen sich jeden Sonntag rund um den Statue Square tausende Migrantinnen aus Süd- und Südostasien. Ausgerüstet mit Strohmatten und Decken kommen sie an diesem Ort zusammen. Sie trinken und essen und tauschen sich aus über ihren Arbeitstalltag als Haushaltshilfe in Hongkong und über ihre Familien, die auf den Philippinen zurückgeblieben sind.

Zoitl, Moira: Exchange Square. 2002 -in: Chat(t)er Gardens. Stories by and about Filipina Workers. 2003

Sie, die jeweils, vom öffentlichen Leben abgeschnitten, im Haus isoliert ihre Arbeit für die jeweiligen Dienstgeber verrichten, gehen einmal in der Woche auf die Straße, besetzen den öffentlichen Raum. Während der Woche versorgen sie praktisch rund um die Uhr, die Familie ihres Dienstsgebers. Betreuung der älteren Familienmitglieder, der Kinder und auch Haustiere mit inbegriffen. Im besten Fall verfügen sie über ein winziges Zimmer, in das sie sich privat zurückziehen können. Ansonsten schlafen sie bei den Kindern, oder den älteren Familienangehörigen.

"Ich interessierte mich für die Strategien, die diese Frauen anwenden, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich interviewte viele von ihnen und lernte auf diese Weise die Aktivistin und Künstlerin Corazon Maya Canete kennen. Wir verstanden uns sofort in der sozial-politischen Ausrichtung unserer Arbeit und haben seither für eine Reihe von Projekten zusammengearbeitet."

Moira Zoitl, die sich wesentlich als Vermittlerin derart selbstständig funktionierender sozialpolitischer Prozesse versteht, erklärt dazu: "Ich glaube nicht, dass Künstler/innen die Arbeit von Sozialarbeitern machen sollten. Ich verstehe mich als Forschende, Nutzerin soziologischer Studien, als Archivarin und Dokumentarin, als solche verbinde ich die Disziplinen in meiner künstlerischen Arbeit untereinander. Mein Produkt ist aber immer eine installative, physisch erfahrbare Arbeit." Im Falle der philippinischen Hausarbeiterinnen gibt Moira Zoitl ihre Erfahrungen in einer "Newsletter"-Reihe, sowie der Broschüre "Chat(t)er Gardens. Stories by and about Filipina Workers", die international vertrieben werden, weiter.

Als Forschende hinterfragt Moira Zoitl in ihren Studien zum Beispiel das Verhältnis von Frau und Raum: Wie viel Raum wird den Frauen in den verschiedenen Kulturen zugesprochen? Der Raum, den jemand für sich in Anspruch nehmen darf ist stets von sozialer Klassenzugehörigkeit und vom Geschlecht abhängig: "Das sind in den unterschiedlichen Kulturen festgesetzte Einschreibungen", sagt Moira Zoitl.

So ist es einigen philippinischen Hausarbeiterinnen in Hongkong verboten sich zu schminken und sie müssen ihre eigene Wäsche separat von der Wäsche der Dienstgeber waschen. Dazu existiert als Anhang in manchen Arbeitsverträgen ein so genanntes "Maid's Rulebook" in dem diese Verhaltensregeln festgehalten sind. Moira Zoitl kann trotz ihres längeren Aufenthaltes in Hongkong nur einen Blick von außen auf die gesellschaftlichen Bedingungen werfen, aber sie findet durch ihre Reisen und Recherchen viele Überschneidungen, die das Verhältnis von Sozietät und Hausarbeiterinnen in anderen Kulturen betreffen. Immerhin arbeiten die "house maids" in Hongkong nicht illegal. Zwischen den Philippinen und Hongkong, besteht darüber ein Abkommen.

"Ich beschäftige mich auch allgemein mit der Tatsache, dass privilegierte Frauen die ihnen zugeschriebenen Pflichten an Frauen mit Migrationshintergrund abgeben und diese Frauen dann das letzte Glied in der Kette der Reproduktionsarbeit bilden. Und dass diese Frauen gezwungen sind diesen Job anzunehmen, um ihre Familien in ihrer Heimat finanziell unterstützen zu können".

"Das eigentlich interessante daran ist ja, dass sich an den Geschlechterverhältnissen an sich so letztendlich gar nichts ändert, da es sich ja nur um eine Verschiebung der Arbeit an eine weniger privilegierte Frau handelt."

"How Do Things? - In the Middle of (No)where ..." heißt das Projekt, in dessen Rahmen Moira Zoitl im Frühjahr 2006 ein Monat in Bukarest verbrachte. Dort untersucht sie die vielfältigen medial kursierenden Zuschreibungen an eine Frau. Mbela Nzuzi, Flüchtlingsfrau aus dem Kongo, lebt seit 19 Jahren in Rumänien. Sie ist Moderatorin einer Vorabendsendung im rumänischen Fernsehen, Leadsängerin einer afrikanischen Band und Präsidentin der Non Government Organisation: "Refugee Women Organization".

Zoitl, Moira: In Winter It's Cold Outside. 3-teilige Videoserie, 2006
Videostill, Interview von Moira Zoitl mit Mbela Nzuzi im Set des B1 TV Senders

Inwieweit kann die Karriere dieser schwarzafrikanischen Migrantin Aufschlüsse über andere Migrantinnen geben? In Rumänien selbst verlassen viele ArbeitsmigrantInnen ihr Heimatland. Was bedingt den sozialen Aufstieg von Mbela Nzuzi? Welche Muster bestimmen diese Ausnahmesituation? Liegt es an der Attraktivität der fremden Kultur, an der Hautfarbe, an dem Wunsch Rumäniens sich als weltoffene Nation zu präsentieren? Sicher ist, dass Mbela Nzuzi Vorbildfunktion ausstrahlt. Über drei Videoarbeiten und einer Serie von Zeichnungen dokumentiert Moira Zoitl ihre Eindrücke vor Ort. Sie geht den medialen Quellen nach: "In der Arbeit ,In Winter It's Cold Outside' will ich die in Rumänien kursierenden Zuschreibungsmechanismen in Bezug auf Menschen anderer Hautfarbe aufzeigen und Beispiele bringen wie sich eine Frau wie Mbela Nzuzi dem entgegen stellt."

Moira Zoitl arbeitet prozessorientiert. Der künstlerische Prozess beginnt beim Forschen, Sammeln, und Aktivieren von Materialien zum jeweiligen Interessensgebiet. Gleichzeitig spielt die Frage der Re-Präsentation eine Rolle. Da jedes Projekt unterschiedliche Inhalte hat und vor allem unterschiedliche finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, muss die Arbeitsorganisation und der Arbeitsaufwand jedes Mal neu adaptiert werden.

"Tagtäglich findet im Rahmen meiner Projekte ein 'Kompetenzmorphing' statt-ein hin und her springen zwischen den unterschiedlichen Tätigkeiten und Praxen. Mal bin ich als Grafikerin, mal als Kamerafrau, Drehbuchautorin, Cutterin, Wandmalerin, Fotografin, Möbeldesignern usf. tätig."

Die installative Umsetzung der Projekte kann ebenso als prozesshafter Vorgang begriffen werden. Derart unterscheidet sich ihre Kunstpraxis auch von Performance Art oder Konzeptkunst. Moira Zoitl tritt nicht selbst als Handelnde auf wie etwa in der Performance üblich. Sie versteht sich als Person, die einen gesellschaftspolitischen Prozess recherchiert, der wesentlich in eine installative, bildhafte Präsentation mündet und so auch über reine Konzeptkunst hinausreicht.

"In meinen Videoarbeiten und Installationen beschäftige ich mich vorwiegend mit dokumentarischen Darstellungsweisen, um unter Verwendung verschiedener Methoden wie z. b. der ,oral history' kulturelle, soziale und ökonomische Wirklichkeiten darzustellen."

Moira Zoitl ist nicht allein an klassischen Kunstorten wie Galerien und Ausstellungsräumen anzutreffen, sondern zunehmend in öffentlichen Einrichtungen, wo man sie einlädt ihre Recherchen in Form von Videos, Filmen, Vorträgen, oder auch Installationen vorzustellen. "Wichtig ist, dass die Ergebnisse meiner Arbeiten kommuniziert und weiter getragen werden".

Links

Zur Autorin

Mag. Ulrike Guggenberger studierte Kunstgeschichte an der Universität Salzburg. Gründungsmitglied der Kunstinitiative "KNIE" sowie der ARGE "Werkstatt im Fluss". Projekte zu Kunst im öffentllichen Raum, freie Journalistin und Kunstvermittlerin am Museum der Moderne Salzburg Mönchsberg. "Werkstatt im Fluss" ist unter "salzachwerkstatt. at" im Netz zu finden.

Inhalt | Impressum

recenseo
Texte zu Kunst und Philosophie
ISSN 1437-3777