Werner Brück

Fotopraktische Überlegungen

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»The Brand 17« - eine 4x5-Kamera von 1948

Was mag diese Kamera schon gesehen haben? Sie kommt aus Los Angeles. Vielleicht ein paar Hollywoodschönheiten? Lauren Bacall und Humphrey Bogart am Set, Hauptlicht von vorne, frontal, Seitenlicht in Richtung Hintergrund? Landschaften in der Sierra, Yosemite, Zabriskie Point? Wellen an der Pazifikküste? Die Golden Gate Bridge bei San Francisco? Vielleicht wurde kommerzielle Werbung fotografiert, vielleicht Hochzeitsbilder, vielleicht Blümchen im Vorgarten, von einem enthusiastischen Privatier. Wurde sie als Pressekamera eingesetzt, mit einer Stabblitzkanone, die dann weiterverwendet wurde als Laserschwert in Star Wars? Kompakt kann sie ja sein, in bestimmten Einstellungen. Oder wurde sie an einer Universität eingesetzt, für 2:1 Pflanzenmakros oder Abbildungen schiefer Zähne? Vielleicht sah sie sogar Atompilze in New Mexico ... Oder alles zusammen?

Merkwürdig. Bei einer Sinar F fragt man nicht soviel.

Kameras greifen auf verschiedene Konstruktionsprinzipien zurück. Ein einfacher Kasten legt den Abstand zwischen Öffnung und Film/Sensor von vornherein fest. So kann eine Lochkamera z.B. aus einer starren Kiste bestehen. Man kann sich einen Holzkasten mit 30cm festem Auszug zwischen einer 4x5-Filmkassette/Mattscheibe und einem 150mm-Objektiv bauen, für Makroaufnahmen im immer gleichen Maßstab 1:1. - Bewegt man aber die Aufnahmeöffnung bzw. deren Linsenglieder entlang der optischen Achse vor- und zurück, kann man auch veränderlich fokussieren. So arbeiten Spiegelreflex- und Sucherkameras. Sie nutzen in der Regel Helicoide, Schneckengangtuben, in denen Teile des Objektivs oder das ganze Objektiv feinverstellt werden können.

Bei Laufboden- bzw. Klappkameras befindet sich das Objektiv auf einer Platine, die in einer Standarte aufgehängt wird. Die Standarte steht senkrecht zum Laufboden und wird auf dem Laufbodenschlitten befestigt, der auf der Laufbodenbasis gleitet, in linearer Führung, entweder durch eine zentrale Fokusschraube in Form einer dicken Gewindestange, oder mit Hilfe zweier Zahnräder an der Laufbodenbasis, die in eine am Schlitten befestigte Zahnstange greifen. Das konstruktorische Prinzip des Laufbodens hat den Vorteil, dass die fokussierte Standarte auf gleich zwei Schienen lineargeführt wird. Dadurch können bzw. dürfen diese Schienen kompakt ausfallen. Die Fokussierung einer Linhof Technia oder einer Graflex erscheinen nachgerade zierlich. Das spart nicht nur Material, sondern auch Gewicht, bei erhöhter Stabilität der Gesamtkonstruktion. Laufbodenkameras sind leicht, zierlich, stabil.

Den Laufboden ein- oder ausklappen zu können dient der Kompaktierung der Kamera. Man nimmt sie im Rucksack auf Reisen. Meist schützt die kastenförmige Hinterstandarte den eingefahrenen Balgen mitsamt der Vorderstandarte. Eine solche Solidität geht aber auf Kosten der Verstellbarkeit. Bei der Linhof Technika erfolgt die Verstellung des Rückteils anders als die des Vorderteils. - Manchmal passt dafür aber sogar noch das aufmontierte Objektiv in den Kasten, so in die Graflex Crown Graphic ein flaches Kodak Wide Field Ektar oder in die Wista 45N das Fujinon A 1:9/180mm. Das erhöht die Kompaktheit und die Aufnahmebereitschaft. Der zweigleisige Laufboden hat hier den zusätzlichen Vorteil, dass die verseitlichte Fokuseinrichtung dem mittigen Objektiv Platz machen kann.

Bei Grossformatkameras auf optischer Bank lässt sich hingegen nur wenig kompaktieren. Das Bankrohr wird einem heruntergeklappten Objektiv immer im Wege sein. Auch muss es im Durchmesser recht groß ausfallen, um stabil zu bleiben. Die Aufbauten der Standarten laden demnach ebenfalls aus. Man kann zwar den Auszug eines Bankrohrs verkürzen; es bleibt jedoch immer ein ausladendes Bankrohr übrig, das quer zur Objektiv- und Filmstandarte steht. Das Teil wird insgesamt sperrig. Daher werden solche Kameras v.a. im Studio eingesetzt. Die Gleichheit der Standartenverstellungen hat den Vorteil intuitiver Bedienung und umfänglicher Verstellmöglichkeiten, die vorne wie hinten gleich ausfallen, in gleichen Maßen und mit je gleichen Mechanismen. Auch ist die Studiokamera solider, steht auf schwereren Stativen, bewegt sich nicht aus der Justage, nur weil eine Filmkassette eingelegt wird. Studiokameras sind zudem modular aufgebaut und lassen sich systematisch aus- und umbauen.

Nun, an »The Brand 17« interessierten Leserinnen und Lesern dürften diese Aspekte hinreichend bekannt sein. Ich vermute mal, sie interessiert der Aufbau dieser Kamera im Konkreten, das Teleskopprinzip der Bankverlängerung, die Zweigleisigkeit der Linearführung auf leichtem Aluminium und Magnesium, Verstellmöglichkeiten, Stabilität, Transportabilität.

Sie entspricht der Idealvorstellung einer intuitiven und reisetauglichen Kamera mit gleichen Verstellungen vorne wie hinten, auf einer stabilen zweigleisigen Linearführung, mit geringem Gewicht und solider Ausführung.

Kann man mit dieser Kamera Bilder machen? Auf diese Frage kann man unterscvhiedlich antworten.

Es wurden nicht sehr viele dieser Kameras gebaut. Man muss zuerst mal eine finden, um damit Bilder machen zu können. Das vorgestellte Exemplar trägt die Seriennummer 2645.

»The Brand 17« kostete soviel wie die anderen Kameras der Zeit, war allerdings keine etablierte Marke wie z.B. Graflex. Sie kostete 1948 rund 100 USD. Allerdings ohne Objektiv oder sonstiges Zubehör. Für ein Wollensak 127mm F4.5 im Rapax Synchro Shutter legte man weitere 90 USD hin. Die Graflex Speed Graphic 4x5, das Spitzenmodell mit Rangefinder und Ausrüstungskoffer, wurde 1947 für rund 410 USD angeboten, inklusive Wabash Elektronenblitzgerät und einem 5" f4.7 Ektar von Kodak. Die Busch Pressman C für 6x9 kostete 1947 im vergleichbaren Komplettset 212 USD.

Eric Hosking fotografierte Vögel mit einem solchen Apparat. Seine Bilder wurden veröffentlicht. Die Kamera taugte also durchaus auch zum ernsthaften Arbeiten.

Entstanden ist »The Brand 17« aus Magnesium und Flugzeugaluminium. Beides war aus dem 2. Weltkrieg übrig. Mit solchem und anderen Material konnte man versuchen, eine Nachkriegsexistenz aufzubauen. In »Popular Photography« bewarb man explizit »Sensational War Bargains in Lenses & Prims« z.B. aus Artilleriegeräten und Kampfpanzern. Und überhaupt brach eine Zeit an, in der bedeutende technische Entwicklungen zum Konsumenten drängten, so z.B. der »Norwood Director«, der heute als Sekonic L398 immer noch zuverlässig Lichtmessungen ermöglicht in Situationen, in denen jeder Vollformatbolide mit 3D-Color-Matrix-Belichtungsautomatik mit Programmshift und TTL-Aufhellblitzerei samt 6-fach-Bracketing mit 8 Bildern pro Sekunde versagt.

Das erste Modell von »The Brand« verfügte nur über eingeschränkte Verstellungen. Zwar sind die Hinterstandarte und der Haltegriff aus einem Guss. Smart. Doch muss die Standarte über einen Hilfsbügel zusätzlich fixiert werden bei Verstellung. Es handelt sich beim Rückteil um eine Basisverstellung, und diese erfolgt immer etwas weniger intuitiv als ein Zentralschwenk. Außerdem wurde über eine zentrale Getriebestange fokussiert, ein Prinzip, das man heute noch bei diversen Holzkameras auffinden kann. Diese zentrale Fokussierung hat den Vorteil, dass die Linearverstellung singularisiert, das heißt auf eine einzige Gewindesteigung zurückgeführt werden kann. Das vermindert mögliche Defekte. Außerdem ist eine einzelne Gewindestange kostengünstiger herzustellen als Zahnräder und Zahnstangen in je doppelter Ausführung. Man kann Laufböden durchaus auch mit einer M12-Gewindestange und ein paar passenden Schraubenmuttern herstellen, die einen Schlitten entlang einer geraden Führung hin und her treiben. Wer das jedoch ausprobiert, wird herausfinden, dass man für große Auszüge lange kurbeln muss, und das ist ermüdend. Man sucht sich daher passenderweise Modelle mit hoher Gewindesteigung aus. Wie dem auch sei: ob die Gewindestäbe schon vorhanden waren aus Kriegsgeräten oder eigens für die erste Version der »Brand«-Kamera gedreht wurden, weiß ich nicht.

Bei dem Modell, von dem hier die Rede ist, handelt es sich um den Nachfolger "The Brand 17" - die Zahl »17« stammt nicht etwa von einer möglichen Anzahl Vorgängermodelle, sondern weist auf den möglichen Balgenauszug von 17" hin, das sind immerhin 43cm. Aus dem Stand, mit einer Kamera, deren optische Bank bzw. Laufboden nur 25cm lang ist. Rechnen wir das auf die Studiokamera Cambo SC-2 um: diese besitzt ein Kurzrohr mit 25cm. Mit diesem erreicht man einen Auszug von 25cm. Wer einen Auszug erreichen möchte, der »The Brand 17« entspricht, muss also noch das schwere 50cm-Rohr mitführen, auf das er dann die Standarten der SC-2 aufmontiert. Das ist, auch wenn sich die Cambo sehr einfach und sicher zerlegen und wieder assemblieren lässt, ein enormer Aufwand. Daher wiegt die Cambo auch etwa 5kg, während »The Brand 17« nur 2,5kg auf die Waage bringt. Gleiche Leistung bei halber Transportlänge und halbem Gewicht.

Nun könnte man einwenden, die Cambo ließe sich anders als Laufbodenkameras vorne und hinten fokussieren, was insbesondere bei langen Auszügen zum Tragen kommt, in der Makrofotografie, wo der Maßstab bestimmt werden kann durch den Abstand des Objektes zum Objektiv. Das stimmt. Die Wista 45N lässt sich z.B. nur nach dem Objekt hin fokussieren, ebenso die aktuelle Linhof Master Technika, die zwar noch Verstellungen des Rückteils bietet, Fokussierung jedoch durch Auszugsverängerung nach vorne erzeugt. Fokussierung verändert also den Maßstab, und das ist durchaus unerwünscht. - »The Brand 17« bietet dagegen die Möglichkeit, Vorder- und Rückstandarte von den Halteböcken des Laufbodens zu lösen und umgekehrt wieder zu befestigen. Dadurch lässt sich die Kamera bei vorab definierten Aufnahmeabständen nach hinten fokussieren. Es handelt sich bei »The Brand 17« also eigentlich um eine Studiokamera, deren Laufbasis per Teleskopauszug verkürzt wurde. Im Normalbereich bis 1:10 kann man Objektive bis 210mm aufsetzen und fokussieren. Im Nahbereich werden die Teleskopstangen ausgezogen.

43cm Auszug, das lassen wir uns auf der Zunge zergehen. Mit einem 135er erreichen wir damit einen Abbildungsmaßstab von 2:1. Ein Käfer wird also in doppelter Lebensgröße fotografiert. Eine durchschnittliche Tulpe nimmt die ganzen 4x5" ein und kann von 4x5" auf 2m vergößert werden. Mit einem 210er kommt man bei 40cm Auszug immer noch auf Lebensgröße, 1:1. Mit einem 90er erreicht man eine Vergrößerung von etwa 3:1. Makrofotografie ohne Hilfsmittel. Mit »The Brand 17« als überdimensioniertem Balgengerät. Dass die Laufbodenstangen auf einem eigenen Einstellschlitten montiert sind, die ganze Kamera also vor und zurück bewegt werden kann, ist dabei nur ein weiteres Detail.

Die Kamera eignet sich also für Aufnahmen von Unendlich bis in den Makrobereich. Das prädestiniert sie für Landschaftsaufnahmen, in deren Zusammenhang auch Details zum Tragen kommen sollen, die per Makroaufnahme herausgearbeitet werden sollen. Wer immer daran denkt, eine Studiokamera mit ins Feld zu nehmen, sollte »The Brand 17« erwägen, die die Funktionalität einer Studiokamera im Format und Gewicht einer Pressekamera anbietet.

Einige Einschränkungen sind allerdings anzumerken. So ist der Balgen trotz Lichtdichte nach 69 Anwendungsjahren recht steif. Das schränkt die Verstellfreiheit ein. Ein neuer Balgen schafft Abhilfe. Der ist aus schwarzer Baumwolle innen und schwarzem Corduranylon außen geklebt und gefaltet. Das dauert ca. 3 Stunden. Er klebt auf zwei Rahmen, die an Vorder- und Rückteil festgeschraubt sind. Dass die Kamera auf zwei Schienen läuft, hat den Vorteil, dass die beiden Schienen den Balgen stützen können. Er wird also etwas voluminöser ausfallen können, was weitere Verstellungen ermöglicht.

Die Verstellungen erfolgen zentral und können per Rastbügel auf Null fixiert werden. Denkbar ist die Anbringung gravierter Aluminiumplättchen, die grob über die Grad- und Zentimeterwerte der Verstellungen orientieren. Glücklicherweise wurden an den Laufbodenböcken auch Schrauben angebracht, die eine auf Aluminium gravierte Entfernungseinstellung aufnehmen können. - Zusammen mit einer Tiefenschärfetabelle für den ausklappbaren Lichtschacht ergibt sich ein reizvolles Projekt für den Winter.

Eine weitere Einschränkung liegt darin begründet, dass die Dimensionen der Laufbodenböcke einen hohen Mindestabstand bedingen. Objektivplatine und Mattscheibe sind mindestens 120mm entfernt. Eine 120mm-Brennweite wäre also die kürzeste Brennweite, die sich ohne Hilfsmittel verwenden ließe. Für ein »recessed lens board« scheint die Vorderöffnung mit 6.5cm bei 10cm Objektivplatinenseitenlängen etwas zu eng zu sein. Bliebe die Möglichkeit, die Hinter- oder Vorderstandarte auf einer Halteschraube der Stativaufnahme zu befestigen, die extra für die Verwendung von Weitwinkeln konzipiert ist. Allerdings wird es für den Balgen dann richtig eng; eine Verstellung ist da nicht mehr möglich. Wie dem auch sei - vielleicht hilft der flexiblere neue Balgen ja weiter und ermöglicht Verstellungen nach vorne. Bleibt zu bemerken: die Kamera ist eine Kamera für Landschaften und Portraits, mit o.g. Anpassung eine solche für Architekturfotografie. Stilleben mit Weitwinkeln, die verstellt werden sollen, macht man besser mit der Cambo.

Ich schließe diese Anregungen mit der persönlichen Anmerkung, dass ein 135mm-Objektiv für mich bereits ein Weitwinkel und ein 180mm-Objektiv ein leichtes Tele ist. So verhält es sich ja auch bei den Kleinbildobjektiven, wo ein 40er den großen und das 55er Makro den kleineren Bildwinkel ergibt. Zusammen mit einem 300mm-Objektiv scheint mir eine für Landschaften förderliche Kombination vorzuliegen. Generell bevorzuge ich die leichten Tele. Sie verdichten die Bildaussage auf das Wesentliche. Mit einem stärkeren Weitwinkel, z.B. 90mm, erginge man sich lediglich in der Produktion symbolischer Perspektiven; wir kennen alle diese zentrifugal dynamisierten Weitwinkelbilder mit dunkleren oberen und unteren Bildrändern, Zentralisierung der Objekte, symmetrischer Verzerrung und Verzeichnung nach den Ecken hin usw. Das 90er tritt mir zu sehr in den Vordergrund, das Sujet geht verloren. Bloß eine andere Variante von Ansel Adams' Devise: »Nichts ist bedauerlicher als ein scharfes Bild von einer unscharfen Idee.« - »The Brand 17« bräuchte meiner persönlichen Präferenz nach also gar kein Weitwinkel. Aber das ist eben eine persönliche Einstellung.

Was man sich aber auf jeden Fall einhandelt für den Verzicht auf Weitwinkel: eine enorme Stabilität, wie man sie sonst nur von Studiokameras kennt. Ebenso die Verstellmöglichkeiten der Studiokamera. Wer sich mit dieser Kamera in die Landschaft begibt, wird intuititv einstellen und sich auf die eingestellten Verstellungen verlassen können. Wer einen Weitwinkel braucht, nimmt halt noch ein leichtes Zweitgehäuse mit.

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