Werner Brück

Fotopraktische Überlegungen

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Die Intrepid 4x5 Mk. II - Ein Eindruck (07.11.2017)

Wie meinte der Passant gestern in der Landschaft: "Bausatz? Selbst gebastelt?"

Die Intrepid 4x5 wird mittlerweile in der 2. Ausführung gebaut, die Vorderstandarte aus Metall. Sie kostet 250£, wiegt 900g. Liefermengen von ca. 120 Exemplaren gehen gesammelt in den Versand. Dadurch entstehen Wartezeiten. In meinem Fall war eine »Lead«-Zeit von 7 Wochen angegeben, faktisch wurden 10 Wochen daraus. Aus diesem Grund konnte ich die Kamera nicht mitnehmen ins Ausland, zum »Hiken« oder »Backpacken«, wie man neudeutsch sagt. Wieder was gelernt: der Unterschied zwischen Deiner Wista 45 auf dem Schreibtisch und der federleichten Traumkamera im Netz liegt darin, dass Du die Wista dabei hast, während Du vom Leichtgewicht nur träumst.

Hat aber nun die Kamera das Warten gelohnt? 250£ sind zugleich viel und wenig Geld.

Viel Geld, angesichts der Konkurrenz: eine gebrauchte Toyo, Horseman oder Metallwista kostet zwischen 250-500 US$. Man bekommt dafür beste Qualität. Die Chamonix 45 oder eine Shen Hao aus Massivholz kostet neu auch nur etwa 1000€. Eine gute klassische Gitarre aus Spanien kostet genau so viel. Alle diese Dinge halten bestimmt 40 Jahre. OK, andere geben soviel Geld für den Ei-Fön aus. Alle zwei Jahre. Aber ein einzelner Band aus Edmund Husserls Schriften zur Phänomenologie kostet auch nur 50€ - und der verändert Dein Leben. 250£ sind eine ganze Monatsmiete.

Wenig Geld, im Produktionskontext: die Kamera wird eigens für den Auftraggeber hergestellt. Von der Manufaktur, in der real existierende Menschen von ihrer Arbeit leben. Entsprechend sieht man auf den Webseiten (Twitter, Facebook, Intrepid-Shop) des Herstellers die Menschen und die Werkstatt. So vermittelt man Identität, schafft Community. Normalerweise kosten Manufakturprodukte das Drei- bis Vierfache, vgl. die Chamonix. Die Wista 45, für 400€ aus dem japanischen Netz gefischt, kostet als Wista 45SP aktuell das Zehnfache.

Dies vorangeschickt, kommen wir zur Kamera selbst. Birkensperrholz hat ja den einleuchtenden Vorteil, dass es mit einfachen Mitteln, rationell, verarbeitbar ist. Ideal für jemanden, der optisch-mechanische Geräte in Serie bauen will. Es besteht aus Schichten, die querstehend übereinander geleimt werden. Um eine Nut zu fräsen oder eine passende Feder freizulegen, muss man nicht durch hartes Massivholz fräsen, was die Fräskosten (Verschleiss, Zeitaufwand, maschineller Aufwand) senkt.

Nein, man fräst lediglich durch dünne Weichholzschichten. Zudem wird das abgefräste Material in eine bestimmte Richtung abgetragen, nämlich von den Schichten weg: was dann an Schichten übrig bleibt, bleibt glatt und geschlossen. Zumal die Poren ja verklebt bleiben, was dem Werkstück Stabilität verleihen kann. Das zeigt sich an der Laufbodennut, aber auch am ausgedünnten Boden der Laufbosenbasis. Weil die Schichten eine definierte Dicke haben, verbleibt auch der nichtausgefräste Rest des Werkstückes in einer definierten Dicke (als Vielfaches der Einzelschicht).

Am Vorderteil gingen die furchtlosen Intrepids den entgegengesetzten Weg: damit die Objektivplatine nicht in der Objektivebene wackelt, fräste man zuletzt keine vollständige Schicht ab, sondern nur eine halbe. Dadurch entstand eine rauhere Oberfläche, die etwas dunkler ist als das eigentliche Birkenholz. Auf der sollte das Lensboard nicht mehr wackeln. Das trifft freilich nur dann zu, wenn man noch keinen Zehntelmillimeter zu tief fräst ...

Sperrholz reduziert auch den Ausschuss, bei gleichzeitiger Vereinfachung der Bearbeitung. Man stelle sich einfach mal vor, unsere Kamera entstünde in einer traditionellen Volltischlerei: wir wären schnell in der höheren Preissphäre. Dass die Chamonix vergleichsweise günstig ist, liegt vielleicht an der Produktion in China. Die Intrepid aber kann - auch wegen des Materials, aus dem sie besteht - in Großbritannien hergestellt werden, von einer für Startups kostengünstigen CNC-Fräse, in einer einfachen Projektwerkstatt. Das ist ein subversiver, sympathischer Zug! Ähnlich verhält es sich mit der "Italian Camera", der Proxima Centauri 4x5 aus dem Hause Ghibellini: die kommt auch aus Europa, und zwar aus einem italienischen 3D-Drucker.

Birkensperrholz ist jedoch auch problematisch. Wenn da schon real existierende Menschen an der Sache arbeiten, dann hätte die Wahl trotzdem auf Eiche (Langzeitstabilität), Esche (Schwingungsfreiheit) oder Buche (Kompromiss aus beidem) oder ein anderes, vielleicht sogar weicheres Massivholz fallen können, das jedoch lange vorgelagert werden muss. Das hätte diesen Menschen nicht nur Wertschätzung vermittelt und dem Produkt eine wertigere Anmutung verliehen, sondern gleich noch einige technische Probleme gelöst. - Klar, am Ende entscheiden die Bilder, aber Fotografieren ist eben doch auch ein Prozess, und da will man, dass alles stimmt, auch Handling und Anmutung.

Was hätte Massivholz gebracht? 250g mehr Gewicht? Na, da fällt die Kamera vielleicht nicht so schnell um, wenn es windet. Gerne. 10£ oder 50£ Aufpreis? Die lassen sich leicht verschmerzen. Gerne. Auf jeden Fall eine solidere Anmutung, eine Langzeitperspektive (Verschenk- und Vererbbarkeit) sowie diverse technische Verbesserungen. Klar, die Kamera aus Sperrholz ist leicht. Und man ist stolz auf weitere Gewichtreduktionen. Als ob hierin das Ziel des Kamerabaus bestünde. Gibt es einen Body-Mass-Index, ab dem Kameras zu viel wiegen oder zu dick sind?

Der Body-Mass-Index der Intrepid-Sperrholzkamera wurde am Laufboden zusätzlich reduziert, indem der Boden ausgedünnt wurde. Nur die Stativaufnahme verfügt über die ursprüngliche Plankendicke. Rund um die Stativaufnahme ist der Boden vielleicht nur zwei oder drei dünne Sperrholzschichten dick. Die Kamera knackt, zieht man die Schraube der Stativschnellwechselplatte fest. Man nehme lieber Arca-Swiss-Platten als Manfrottoteile. Denn die haben mehr Oberfläche, was den Anzugdruck besser verteilt.

Auf dem Stativ lässt die Ausdünnung des Kameraträgers die ganze Kamera schwingen, insbesondere bei kleinen Stativplatten. War wohl nichts mit dem 1000g-Schnuckelstativchen (Gitzo Series 00 Gilux Weekend) und dem 400g-Babykugelkopf (Manfrotto 484 RC2) für das Leichtgewicht. Es wäre aber auch zu schön gewesen: Grossformatkamera mit Stativ und Kugelkopf für insgesamt 2300g ... - Mit der 1600g schweren Mamiya C330 auf dem genannten Stativchen traue ich mir solche 60s-Dias gerne zu. Das Laufbodenleichtgewicht von 900g wird jedoch bereits von einer leichten Brise zum Erzittern gebracht. Waldboden mit Moos schwingt auch, und schon die Gewichtsverlagerung von einem Bein aufs andere bei langen Zeiten kann gefährlich werden. - Es liegt am Gewicht, und auch an der Kamerabasis. Ohne eine ausgedünnte Kamerabasis, mit massivem Eichen-, Eschen-, Birkenmassivholz, würde die Kamera weniger schwingen. Das Apo-Ronar 1:9/300mm in Copal 1 ist an sich eine kleine Optik und hat eine leichtmetallene Auszugsverlängerung. Die Bilder mit diesem Objektiv wurden scharf. Was aber ist mit dem Super-Angulon 1:8/90mm?

Habe ich die Laufbodenbasisparanoia? Die Kamera kam jedenfalls schon mit einem ausgebrochenen Stück Holz aus dem Laufbodenschlitten bei mir an: hier zeigt sich, dass bei mehrschichtigem Sperrholz Sollbruch entlang der Schichtenverläufe vorprogrammiert ist. Vermutlich breiten sich auch die Kamerschwingungen und Vibrationen entlang dieser Schichten aus.

Denken wir weiter: die Gummis, die die Mattscheibe am Rückteil halten, sind stark und kräftig. Zieht man die Mattscheibe zurück, um die Filmkassette einzuschieben, erzeugt das Zug nach hinten, und auch hier muss man fürchten, dass es die rundum ausgedünnte Stativaufnahme der Laufbodenbasis ausreißt.

Die Mattscheibenbefestigung aus Gummi ist übrigens charmant. Sie zeigt, wie man mit wenig Aufwand Mechanismen produzieren kann.

Allerdings wurden die Gummis falsch gespannt. Bei den meisten 4x5-Kameras laufen die Federn der Mattscheibenbefestigung an einem Punkt in der vertikalen oder horizontalen Rückteilmitte zu. Das hat seinen Grund. Denn der Zug bzw. Kraftaufwand, mit dem Mattscheibe vom Rückteil weggezogen wird, wird so gleichmäßig auf das ganze Rückteil übertragen und wirkt sich von der Mitte zu den Seiten und entlang der optischen Achse aus. Besonders sensible Kameras bieten einen Umlegebügel, mit dem man die Mattscheibe und die Filmkassetten festhalten kann.

Anders bei der Intrepid 4x5: der Zug setzt exzentrisch an den Rückteilseiten an. Das Rückteil wird einseitig belastet, dort, wo die Filmkassette eingeschoben wird. Bei starrer Befestigung des Rückteils wird die eingesetzte Kraft über die Rückteilstandarte auf die Stativaufnahme in der ausgedünnten Laufbodenbasis übertragen, was wiederum die Gefahr des Ausreißens derselben erhöht. Bei Queraufnahmen kann man von Glück sprechen, wenn sich bloß die wegen des bedenklichen Knackens nicht so stark angezogene Schnellwechelplatte verstellt. Ärgerlich ist das allemal, denn man muss alles wieder abbauen und neu fixieren. Sowas passiert bei anderen Kameras nicht. Bei Hochformataufnahmen kann es passieren, dass das Rückteil nachher nicht mehr in der gewählten Ebene liegt. Auch dann darf man wieder neu einstellen. Gerade im Grossformat, wo man mit der Lupe einstellen muss, ist das blöd. Das Filmeinlegen ist mit dem Belichten ja der eigentliche Abschluss des Fotografierens. Hier wieder von vorne anfangen zu müssen, weil Material und Konstruktion gegensteuern: das frustriert.

Und wer will sich schon auf die ewige Blende 32 verlassen? Das gilt auch für die manchmal schiefgestellte Mattscheibe, weil die Führungsnuten der Mattscheibe im Rückteilbett nicht deutlich genug definiert wurden und kein signifikanter Anschlag für den Mattscheibenrahmen und die Planfilmkassette vorhanden ist.

Kurioserweise - und das muss man fairnesshalber einfach auch mal noch zur Sprache bringen - bewirken die Intrepid-eigenen Gummizüge, dass das vollständige Abnehmen der Mattscheibe zum Kinderspiel wird, bei dem überhaupt nichts verrutscht. Man greift nämlich in der Rückteilmitte nach den Gummis, zieht diese dann über die Haltenuten des Mattscheibenrahmens nach außen und legt so den Mattscheibenrahmen frei. Den kann man nun abnehmen und irgendwo verstauen, um dann ein Rollfilmmagazin in die so entstandene Graflok-Aufnahme einzulegen.

Leider - und das ist auch zu erwähnen - hat die Rollfilmkassette - in meinem Falle eine 6x9 von Horseman - Spiel, sie wackelt. Das liegt an zwei Aspekten. Einerseits ist das Bett, in die das Magazin eingelegt wird, zu breit, was zum Verrutschen in der Bildebene führt. Andererseits ist es auch zu tief, weswegen die Graflok-Halteklammern das Magazin eben nicht halten. Hier ist Textilklebeband, unser Freund. Das darf man aber nicht zwischen Magazin und Rückteil anbringen, da so ein Defokus zur Mattscheibe entsteht. Vielmehr ist es seitlich und auf der Rückseite der Magazinhalterung anzubringen, dort, wo die Graflok-Klammern greifen sollen.

Hat man das Rückteil mit Tape gepatcht, ist das sichere Einlegen des Rollfilmmagazins ein Leichtes - man meint, die Kamera wäre nachgerade für 6x7cm und 6x9cm mit Rollfilmmagazinen konzipiert. Es eröffnen sich neue Perspektiven, und im Verein mit kürzeren Brennweiten und leichteren Objektiven, bei denen Verwackler weniger häufig sind, kommt dann die Portabilität schon besser zum Tragen. Man stelle sich die Intrepid mit 6x9-Kassette und einem 65er Fujinon und einem 105er Nikkor vor: das muss ein Fest sein!

Bleiben wir beim Rückteil. Das Rückteil ist durch eine schwarze Standarte mit dem Laufboden verbunden. Die in Fotografierrichtung rechte Standarte ist schief am Laufboden angeschraubt. Vorne hängt sie ca 1/5mm herunter. Bei Fixierung des Rückteils per Anschlag ergibt sich eine Schiefstellung der rechten oberen Rückteilecke von 1/5mm nach vorne.

Na, der Bau von und das Fotografieren mit Sperrholzkameras ist freilich keine exakte Wissenschaft. Die Intrepid-Community würde sagen, es käme mehr auf den Fun an, den man mit dem Ding hat, als auf die exakte Einstellung. Sowie benutzt man ja die optimale Blende. Und die ist ja nicht die Offenblendeinstellung. Und da gibt's ja auch noch den tollen Miniatureffekt. - Aber brauche ich fürs Lomografieren wirklich eine Laufbodenkamera für 250£? Ich würde sagen: man möchte auch mal mit Offenblende föteln, und zwar korrekt. Eine gescheite Endkontrolle ist daher wesentlich. Und deren Fehlen zeigt sich auch in schmutzigen Plastikrändelmuttern, einem korrodiertem Mattscheibengriff, groben Schnittflächen am Sperrholz, im ausgebrochenen Stück Holz am Laufbodenschlitten und, erwähnte ich das schon?, am Wackeln der Objektivplatine im Vorderteil der Kamera. - Ja. Die vordere Objektivplatine hat Spiel, ähnlich dem ungepatchten Rollfilmmagazin im Graflok-Anschluss. Die Kamera verunsichert immer wieder aufs Neue, sie steht im Weg, sie ist nicht transparent, sie ist eben kein Werkzeug zum Vergessen oder Vertrauen, während man mit ihm arbeitet.

Die Vorderstandarte ist unten enger als oben. Und das Vorderteil ist in der Standarte nur zu verschieben. Die Verengung bewirkt, dass das Vorderteil nicht einfach so die Standarte herabgleitet, wenn die Schrauben nicht fest genug angezogen wurden. Wer traut sich schon, in Birkensperrholz eingestoßene Einschlagmuttern anzuziehen? Die V-förmige Verengung der Standarte bewirkt jedoch, dass das Verstellen des Vorderteil nur ruckelig ausfällt. Ruckelig heißt: Kraftentfaltung in alle Richtungen, Verstellung der Kamera, Strapazierung der ausgedünnten Laufbodenbasis usf. Das Zusammenfalten der Kamera gerät zur Kniffelei, immer mit der Angst, den geklebten Balgen ab- oder einzureißen.

Im Video sieht die Handhabung der Vorderstandarte und des Vorderteils einfach aus, in der Praxis fummelt man irgendwie an der Klebegrenze des Balgens zum Vorderteil herum, versucht, aus den Sperrholzschichten hinter den Führungsschlitzen der Vorderstandarte die Vertikalität des Vorderteils abzulesen, während man mit dem Daumen Abstände prüft und mit den Fingerspitzen Schrauben feststellt ...

Zudem hat es in den Führungs- bzw. Verschiebeschlitzen der Vorderstandarte Ausparungen für Positionierung des Objektives auf der optischen Achse. Diese ist ca. 1/2cm tief. Wer also mit einem solcherart fixierten Vorderteil scharfstellt, kann, wird das Vorderteil zur Vertikalverstellung aus der Nullstellung gezogen, gleich wieder neu anfangen mit dem Fokussieren, denn das Objektiv befindet sich nun 1/2cm näher zur Filmebene. Man sollte in diesem Sinne auch die Verstellung nach Scheimpflug neu überdenken, sobald man das Objektiv hochgeschoben hat. Das ist umso mühsamer, als dass die Mattscheibe dunkel ist. Und der Balgen hat eine Eigenspannung, die beim Vertikalverstellen die Vorwärtsneigung verstellt usf. - Kurzum: eine unselige, ruckelige Fummelei. Bei den meisten anderen Kameras verstellt man Shift und Tilt separat und bei vielen zudem mit Zahnstangentrieb.

Shiften und Tilten ist also mühsam. Beides funktioniert nur vorne vollständig. Meist mehr, als der Bildkreis hergibt. Wegen des Drehrahmens kann man das Rückteil nur nach vorne kippen, nicht nach hinten. Die Feststellmuttern des Vorderteils sind zugleich die Griffe, mit denen man die Shift- und Tiltbewegungen kontrollieren soll. Alleine schon die Vorderstandarte nach hinten aus der Nullraste zu ziehen, ist unselige Fummelei. Am besten gelingt dies seitenweise, erst links, dann rechts, beide Male ohne Referenz für eine lotrechte Ausrichtung oder einen gleichbleibenden Abstand zur Filmebene.

In der Praxis entscheidet man sich dann wohl dazu, so wenig wie möglich zu verstellen. Das Vorderteil bleibt je nach Motiv oben und leicht nach vorne geneigt. In der Praxis ist die Standarten-Einstellung also eine gewählte Standard-Einstellung. Mein Tipp: auf die Nullstellung ganz verzichten, das erspart den Anwendern viel Leid. Gleiches gilt für die Seitwärtsverstellung auf dem Laufbodenschlitten. - Nur leider ist dr Führungsschlitz der Vorderstandarte breiter als die M6-Schraube, die das Vorderteil fixiert. Auch hier wieder: Fummelei, Dejustage.

Dass die Vorderstandarte seitwärts rutscht auf dem glatten Laufbodenschlitten, tut sein übriges. Im Netz findet man den Tipp, die Standartenbasis mit Tape zu umwickeln, um die Reibung zum Laufbodenschlitten zu erhöhen. Das raubt links und recht jedoch rund 7mm Raum zur Seitwärtsverschiebung der Vorderstandarte ... Gefummel, allenthalben, und wieder der bewusste Verzicht auf konstruktorisch angelegte, beworbene, eingekaufte Möglichkeiten.

Kleinere Mängel, konstruktionsbedingt, arrondieren den Eindruck. Die Fixierung der Fokuseinstellung bewegt den Laufbodenschlitten im Laufbodenbett um ca. 1,5mm, das kann bei 135mm-Brennweite durchaus ein paar Meter ausmachen. Wobei Nahaufnahmen heikel werden, denn hier geht es um Schärfentiefen im Millimeterbereich. Wer also den Fokus fixieren möchte, verliert ihn gerade dadurch und darf gerne nochmal fokussieren. Andererseits rutscht der Laufbodenschlitten wie nichts durch, wenn die Kamera nach vorne abgewinkelt wird. Man muss also die Fokuseinstellung rechts festhalten und dann minimal gegen die Drehrichtung der Fixierschraube drehen, um den Fokus beim Fixieren desselben nicht zu verlieren ... Ist das konstruktorische Absicht? Die perfide Höllenmaschine tut wirklich alles, um jeglichen Flow nachhaltig zu unterbrechen.

Dass es keine Mattscheibenabdeckung gibt, ist in diesem Zusammenhang eher nebensächlich, aber das Glas der Mattscheibe ist vielleicht das letzte, was an dieser Kamera aus Sperrholz und Kunstoff noch kaputt geht. Ich habe noch Korund herumliegen, vielleicht schleife ich mir am Wochenende eine Backupmattscheibe aus Plexiglas.

Kann man mit der Kamera fotografieren?

Erste Antwort: vergiss es.

Zweite Antwort: ja, merkwürdigerweise. Man muss einige Vorkehrungen treffen, die ich mal aufliste:

Von den ersten vier Bilder wurden zwei scharf. Eines ist verwackelt, bei 60s, vielleicht wegen des Windes und des Waldbodens, vielleicht wegen der ausgedünnten Laufbodenbasis. Eines ist defokussiert. Ich hatte das Vorderteil hochgezogen und es dabei unwillentlich nach hinten gekippt, wegen des Balgenzuges. So war das Vorderteil nicht mehr im ursprünglichen Abstand zu Filmebene. Klar, beide Fehler hätte ich vermeiden können. Mit der Wista, die nur 1,5kg mehr wiegt, dafür aber getrennte Einstellungen verfügt, wären sie mir gar nicht erst unterlaufen.

In der Zwischenzeit belichtete ich nach und nach vier Dutzend Negative im Schweizerischen Sensegebiet, das jetzt im Herbst besonders reizvoll ist. Viel Verschiebung des Vorderteils nach oben, wegen der Klippen an den Talseiten, viel Neigung nach vorne, wegen der Scharfentiefe. Ich benutze ein altes, billiges Linhof-Stativ, das leichteste. Alle Bilder wurden scharf. Das ist die eigentliche Überraschung. Ich hätte der Kamera das nicht zugetraut. Lichteinfall gab es keinen. Ich könnte zufrieden sein. Aber jedes Mal überlegte ich mir, ob ich nicht doch die schwerere Wista mitnehmen sollte.

Dass man für eine leichtere Kamera ein leichteres Stativ einpacken kann, was ja auch wiederum Gewicht spart: Quatsch. Das Stativ muss v.a. schwingungsarm sein, wegen der zu tragenden Brennweite, wegen der Belichtungszeiten, wegen des sicheren Standes auf unsicherem Boden. Trägt man aber bereits ein vernüftiges Stativ, fällt eine etwas schwerere Kamera auch nicht mehr so ins Gewicht. Man darf nicht am falschen Ende sparen.

PS. Was mich aber am allermeisten nervt: dass die meisten Kamerahersteller (außer Shen Hao oder Nagaoka) keine gescheite Zentimeterskala anbringen, von der man den Abstand der Objektivebene zur Bildebene ablesen kann, woraus sich der Verlängerungsfaktor für Makroaufnahmen berechnen lässt. Auch bei dieser leichten Kamera muss man sein Metermaß mitschleppen.

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